Wie Digitalisierung unsere Problemlösungsfähigkeiten beeinflusst

28.05.2024   Prof. Dr. Simon Nestler

Das große Versprechen der Digitalisierung ist, dass alles einfacher wird. Das Leben soll entspannter werden und die Aufgaben durch Digitalisierung leichter von der Hand gehen. Viele schwierige Prozesse sollen endlich leicht werden, sobald sie digitalisiert sind. Und das trifft in vielen Bereichen auch zu. Es gibt zahlreiche Vorteile, die durch die Digitalisierung entstanden sind. Allerdings muss ich erkennen, dass die Interaktion für mich als Mensch, wenn ich versuche, bestimmte Probleme zu lösen, nicht nur Vorteile bietet. Sie schafft auch einen zusätzlichen mentalen Workload. Ein Teil meiner mentalen Leistungsfähigkeit fokussiert sich nicht mehr nur auf die Lösung meines Problems, sondern auch auf die Bedienung der Werkzeuge. Ein klassisches Beispiel: Vor 20 Jahren gab es im Hörsaal Kreide und Tafel. Wir wussten schnell, wie das funktioniert. Wir mussten uns nicht groß auf die Tafel und die Kreide konzentrieren, sondern konnten uns darauf fokussieren, was wir anschreiben. Heute schreiben wir häufig digital an Tafeln. Das digitale Gerät will zuerst ein Update, wenn wir im Hörsaal stehen. Vielleicht muss noch das Passwort geändert werden und es muss bestimmte Voraussetzungen erfüllen. Bevor wir mit der eigentlichen Problemlösung starten können, kümmern wir uns erst um die Probleme der digitalen Welt und lösen Probleme, die ohne den Computer gar nicht erst entstanden wären. Das ist die zentrale Erkenntnis, die Unternehmen wie Apple früh geprägt haben: Je mehr mentale Kapazität durch digitale Werkzeuge abgezogen wird, desto schlechter werden wir darin, Probleme tatsächlich zu lösen. Durch die Digitalisierung hat sich vieles verändert. Aber eine Sache hat sich nicht verändert: Unser Gehirn und unser Arbeitsgedächtnis. Die Millersche Zahl besagt, dass wir uns sieben plus/minus zwei Dinge im Kurzzeitgedächtnis merken können. Das gilt auch im Jahr 2024. Von diesen sieben plus/minus zwei Dingen sollten nicht fünf mit dem richtigen Umgang der Werkzeuge belegt sein. Wir sollten Werkzeuge haben, die möglichst wenig Kapazität unseres Kurzzeitgedächtnisses beanspruchen. Das ist der Grund, warum wir uns mit so großer Leidenschaft mit Usability beschäftigen. Es macht einen fundamentalen Unterschied, wie viele Speicherplätze des Kurzzeitgedächtnisses für die eigentliche Problemlösung zur Verfügung stehen und wie stark uns die Technik von dem abhält, was wir eigentlich erreichen möchten.

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