Intuitiv für wen? Die subjektive Natur der User Experience

28.05.2024   Prof. Dr. Simon Nestler

Wenn ich Studierende frage, wie eine gute User Experience aussehen sollte, bekomme ich sehr häufig die Antwort: "Wir wünschen uns eine intuitive Lösung." Das ist spannend, weil ich mich immer wieder frage: Was ist eigentlich eine intuitive Lösung? Wenn ich sage, das iPhone sei intuitiv und habe eine gute Usability, dann sage ich damit weniger über das iPhone aus als über mich. Ich spreche nämlich über meine Erfahrungen. Was für mich intuitiv ist, ist für andere Menschen unter Umständen überhaupt nicht intuitiv. Es ist sehr schwer, diesen Begriff "intuitiv" zu fassen. Aus meiner Sicht spielen da immer drei Dinge eine besonders zentrale Rolle. Das erste ist, dass es erlernbar ist. Ich kann eine bestimmte Interaktion in der Regel nicht von Anfang an (wenn ich auf die Welt komme). Aber wenn ich sie einfach lernen kann, empfinde ich sie als intuitiv. Das zweite, was ein intuitives Gefühl vermittelt, ist, wenn ein bestimmtes Interface oder Produkt erwartungskonform ist. Das bedeutet: Es passt zu dem, was ich schon kenne. Und das dritte ist, dass es selbstbeschreibungsfähig ist - dass es mir also erklärt, wie bestimmte Funktionen zu bedienen sind. Ich habe für alle drei Aspekte jetzt einfache Beispiele am iPhone. Das erste ist die Pinch-Geste: Ich nehme zwei Finger und ziehe sie auseinander, um hinein zu zoomen. Das fühlt sich intuitiv an. Warum? Weil, wenn ich es einmal gezeigt bekomme, ich es immer wieder nutzen kann. Die Erlernbarkeit dieser Geste ist sehr hoch. Es ist nichts, was mir von Natur aus vertraut wäre, aber es lässt sich gut merken und abrufen. Das zweite ist, dass Dinge erwartungskonform gestaltet sind. Wenn auf dem iPhone bestimmte Webseiten ein Hamburger-Icon nutzen, dann weiß ich, dass sich dahinter die Navigation verbirgt, weil ich das schon von anderen Webseiten kenne. Es ist nicht etwas, was schon immer so war, aber es hat sich als Standard etabliert. Wenn es konsistent ist, begreife ich es als intuitiv. Das dritte Beispiel: Ich scrolle durch meine E-Mails und entdecke zufällig, dass ich eine E-Mail seitlich wischen kann, um sie zu löschen. Diese Funktion ist selbstbeschreibungsfähig. Ich sehe, was die Interaktion bewirkt, sobald ich sie entdeckt habe. Diese drei Muster sind nur einige von vielen Aspekten, die dazu führen, dass ich dem iPhone das Label "intuitiv" gebe. Wichtig ist dabei: Ich bewerte mit diesem Ansatz die Intuitivität nur aus meiner Perspektive.

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